Stills & Sounds

Michael Schwarz, 2008

 

Peter Tuma / Ulrich Eller – stills & sounds, zwei Freunde stellen aus, Maler und Zeichner der eine, Klangkünstler der andere. Sie kennen sich lange, schätzen ihr jeweils doch sehr anderes Werk und gehen – auch in dieser Ausstellung – davon aus, dass es in einer gemeinsamen Ausstellung neu kommentiert wird und also anders erfahren werden kann. Auf der Einladungskarte haben sie auf Gleichgewicht und Gleichklang geachtet, beim Titel stills & sounds schaffen die pluralen Endungen auch phonetisch Harmonie. So wird es hoffentlich nicht weiter gehen. Schauen wir genauer hin und beginnen mit dem Werk des älteren. Peter Tuma, der in diesem Jahr 70 geworden ist, stellt neben einigen frühen vor allem neue Arbeiten aus, Leinwandbilder, aber auch Arbeiten auf Karton, einige Serien bzw. Tableaux. In den Vordergründen der Bilder erkennen wir oft vertraute Motive, Gegenstände unserer Waren- und Medienwelt: Vasen, Schalen, Becher, Schüsseln, dann aber auch merkwürdige Schachteln, Schränke, Gehäuse … und Comics, genauer: Details aus Comics. Früher hat man gerne gesagt: Kunst entsteht aus Kunst oder etwas später dann: Kunst entsteht aus Kunstkatalogen. Peter Tuma gibt ungeniert zu: meine Motive finde ich in Versandhauskatalogen, Baumarktprospekten, mich erregen die Umrisszeichnungen technischer Geräte oft mehr als die so genannten Meisterwerke der Moderne, einzelne Comiczeichnungen ersetzen mir ganze Porträtgalerien. Doch ohne die Geschichte der Moderne kommt auch Peter Tuma nicht aus, denn ein unbefangener Umgang mit den Ikonen des Alltags ist seit den Bild-Collagen der Kubisten oder (in Hannover muss man daran einfach erinnern) ohne Schwitters und der bekannten Realität des Banalen, wie sie die Pop Art bildwürdig gemacht hat, gängige Kunstpraxis. Die Eigenständigkeit dieser pathetischen Stillleben von Peter Tuma liegt auf einem anderen Feld, sie liegt in ihrer Kombinatorik und in der Qualität der Malerei. Peter Tuma kombiniert seine Alltagsgegenstände mit japanischen Motiven. Henrike Junge, die Kollegin aus Wolfenbüttel und Kuratorin einer früheren Ausstellung Tuma / Eller mit dem gleichen Titel stills & sounds beschreibt diese Kombinatorik wie folgt: »Bonsai, Kirschblüte, Bambus, Manga, Sushi und schließlich Sony … sind als Mythen des globalen Alltags in die Massenkultur eingegangen. Tumas Repertoire an Versatzstücken … mischt der Japankenner und –liebhaber immer wieder anders und verwendet dabei vorwiegend Methoden, die ebenfalls dem Bereich der Massenkultur entstammen, zum Beispiel Schablonieren, Kontern, Negativieren, unterschiedliches Einfärben, mit Schrift ergänzen und anderes mehr aus dem Gebiet des Kommunikationsdesigns.« Die Motive und Gegenstände in den Bildern von Peter Tuma bewegen sich gleichsam auf einem west-östlichen Diwan, auf diesem sprechen sie miteinander, mal aus größerer Distanz, dann wieder ganz nahe beieinander und verschlungen. Aber es bleibt ein abendländischer Kommentar, denn Bilder bestehen nicht nur aus Motiven, Bilder wie diese sind Malerei, die zu lesen und zu würdigen ist und die genauso wichtig ist, wie das Nachdenken über den Dialog zwischen einem Bonsaibäumchen und dem technischen Gerät unbekannter Herkunft. Malerei und Zeichnung tragen mit dem ganzen Spektrum ihrer Möglichkeiten Tumas Welt und das ist – in Umkehrung eines kürzlich gewählten Ausstellungstitels – Der Westen und Japan.

Nun zu Ulrich Eller. Mit der herkömmlichen Erwartung an Kunst, die mit dem Bild ein Fenster in eine andere Welt eröffnet, kommt man bei den Klangwerken von Ulrich Eller nicht weiter. Seine Objekte bedienen uns nicht mit den retinalen Sensationen einer Malerei, die aus einer langen Tradition kommt und diese experimentierend weiter führt. Ellers Klangobjekte stehen, wenn man sie zunächst nur sieht in der Tradition des Ready made, des in den Kunstraum auf einem Sockel oder in einer Vitrine präsentierten Gebrauchsgegenstandes. Wir sehen Snaredrums, Einkaufstüten, Schnecken und wunderbare Exemplare der Roten Lippe, einer Südseemuschel. Doch in den Objekten von Ulrich Eller geht es um Sehen und Hören. So übertragen versteckt angebrachte Mittelfrequenzlautsprecher aus 16 der 150 Tüten Papiergeräusche in zufälliger Abfolge. So wie die Tüten ganz gewöhnliche Tüten sind, so sind auch die Geräusche 1 : 1 aufgenommen und werden hier ohne jede Bearbeitung wiedergegeben, d.h. es kommen zwei einfache Setzungen zusammen, die eine aus dem Bildnerischen, die andere aus dem Akustischen und erzeugen etwas Drittes, Neues, etwas, das Erinnerungen, Erwartungen, Assoziationen nicht nur zulässt, sondern nahelegt, ja geradezu herausfordert. »Heute scheint es«, wie Florian Rötzler unter dem schönen Titel Inszenierungen des Unerhörten zu den Arbeiten von Ulrich Eller geschrieben hat, »heute scheint es darum zu gehen, die Ästhetik eher als Erkundung von Randbedingungen unserer Wahrnehmung zu begreifen, wodurch sie den Wissenschaften und Techniken näher rückt.« Genau mit diesem Ansatz untersucht Ulrich Eller in der Arbeit Sammlung (das ist die Arbeit in der Glasvitrine im Stile des 2. Rokoko, vielleicht ist es aber auch Gelsenkirchener Barock) die Frage, was geschieht mit den dort ausgestellten Schnecken, wenn ich mit Hilfe eines Bass Shakers den Sockel, auf dem die Vitrine steht, in Schwingungen versetze. Die Schnecken aus allen Meeren der Welt beginnen zu wandern, um sich nach einiger Zeit in einer Ecke der Vitrine zu sammeln.

So bewegt sich Ulrich Eller zwischen dem Bildnerischen, dem Akustischen und dem Technischen formsicher und oft sehr poetisch wie ein unbekümmerter Grenzgänger. Um diese Behauptung zu überprüfen, müssen Sie wieder kommen oder warten, bis fast alle gegangen sind. Bleibt abschließend die Frage, ob die Stillleben von Peter Tuma und die Geräusche von Ulrich Eller in einer Ausstellung etwas Drittes ergeben, immerhin stellen sie nun schon zum dritten mal zusammen aus, scheinen also Gefallen an einem Zusammentreffen ihrer Werke gefunden zu haben. Zunächst wird man sagen können, dass die Arbeiten sich nicht im Wege sind, sich gegenseitig auch nicht beeinträchtigen. Die Bilder sind an der Wand, die Objekte stehen im Raum. Das tut der Ausstellung als Ausstellung gut. Aber es ist noch etwas anderes. Indem das Werk von Peter Tuma wie das von Ulrich Eller kombinatorisch ist: Europa – Japan, das Malerische gegen die Schablonenzeichnung, das Schachbretttableau als Bildthema bei Tuma; Objekt gegen (oder mit) Klang, Schreiberäusche anstelle von Trommelwirbel bei Eller, führen sie uns anschaulich vor, dass das Zeitgenössische (und Kombinatorik ist zeitgenössisch) in jedem Material, in jeder Technik, in jeder Kunstgattung ausgedrückt werden kann.

Eröffnungsrede zur Ausstellung Peter Tuma / Ulrich Eller stills & sounds am 6. 9. 2008 im KUBUS Hannover