Die Abwesenheit jeglichen Lebens

Wolfgang Längsfeld, 1977

 

Die Wiederbegegnung mit Tuma, der vor sechs Jahren zum letzten Male in München ausgestellt hat und damals zur ersten Wahl der neuen realistischen Zeichner gehörte, zeigt den Künstler gereift, entschiedener, selbstverständlicher im Einsatz seiner meisterlich beherrschten Mittel. Waren damals im einengenden Fachwerk seiner Welt aus geometrischen Kästen noch allenthalben Spuren vegetativen Lebens gegenwärtig, so fällt heute die totale Abwesenheit jeglichen Lebens auf. Tuma zeichnet Motive aus der heutigen Welt, aber er isoliert und präsentiert sie wie archäologische Funde von einem längst nicht mehr belebten Planeten, wie Spuren einer untergegangenen, offensichtlich brutalen Zivilisation. Dass er mit seinen großformatigen Bildern so etwas wie eine Ästhetik der Betonruine vorwegnimmt, ist zwar nicht gerade tröstlich, suggeriert aber mögliche Sehweisen zukünftiger Betrachter unserer Gegenwart. Neu bei Tuma sind ebenfalls großformatige Acrylbilder von sparsamer Farbigkeit und freier Verwendung realistischer Stilmittel. Auch sie führen die urbane Welt verschüttet und geborsten aus befremdeter, faszinierter Distanz vor. Dazu kahle Berge mit zeichenhaften Bemalungen und Spuren nicht mehr deutbarer Bearbeitung. Tumas Zukunft hat längst begonnen.

Wolfgang Längsfeld, Peter Tuma bei Buchholz, in: Süddeutsche Zeitung vom 25. 2.1977