Notizen zu Tumas neuer Landschaft

Bernhard Holeczek, 1977

 

Als Mitte der sechziger Jahre in der Malerei die Landschaft im Zusammenhang mit sich verbreitenden realistischen Bestrebungen wieder als bildwürdig angesehen war, verband sich damit auch bald der Begriff von einer Neuen Landschaft. Das Neue dieser jungen, vornehmlich deutschen Kunstrichtung lag jedoch weniger im Thema, sondern weit mehr in der Art seiner Auffassung und Gestaltung. Gewandelt hatte sich vor allem die vollends entromantisierte Haltung des Künstlers gegenüber der Landschaft und ihrer Darstellungsweisen. Mit technisierten Inhalten gingen entsprechende Sichtweisen einher, die sich ganz bewusst in der Ausführung niederschlugen, indem die Bilder etwa von Kleinhammes, Lausen oder Nöfer mit den Mitteln technischer Zeichnungen arbeitend auch eine solche Wirkung ausüben. Geschärftes gesellschaftskritisches Bewusstsein ließ Ökologisches, Umweltschmutz und Umweltschutz als Mahnung und Anklage in die sonst nüchtern registrierende Bildwelt einfließen. Der Mensch jedoch – in romantischer Auffassung fest integrierter Bestandteil der Landschaft – bleibt selbst bei gegenständlicher, manchmal sogar realistischer Wiedergabe von Natur und Natur fast durchweg ausgeschlossen.

In mancher Hinsicht ließe sich die Kunst Peter Tumas dieser Richtung oder dem Schlagwort von der Neuen Landschaft zuordnen, wenngleich eine solche Einstufung mit Sicherheit zumindest grob und oberflächlich wäre. Seine Arbeiten aus den späten sechziger und ersten siebziger Jahren sind fast alle mit Landschaft oder verschiedensten Komposita davon betitelt, weisen nicht selten konstruktive Elemente auf und sind meist bestimmt vom bewussten Verzicht auf menschlich-figürliche Darstellung. Doch entpuppt sich der Begriff Landschaft bei Tuma sehr bald als lediglich ironischer Hinweis auf Umraum und Gegenständliches schlechthin. Durch bemüht falsche Perspektive verbunden mit penibel naturalistisch anmutender Ausführung verursacht er eine aus schlüssiger Widersprüchlichkeit resultierende Spannung, die Peter Sager zum treffenden Oxymoron vom „abstrakten Realismus“ definierte. Denn nicht geläufige Wirklichkeit wird dargestellt, sondern eine neue, eigene, konstruierte Realität wird als statische Situation geschaffen. So entsteht eine tote Welt von der Qualität eines Stilllebens, eine willkürlich vorgestellte – nicht geträumte – Gegebenheit, die dennoch erfahrbar ist und deshalb überzeugt und betroffen macht. Landschaftsdarstellung in der Kunst war seit je auch mehr oder minder stark ausgeprägter Bedeutungsträger. Das trifft ebenfalls für die meisten der neueren Spielformen dieses Genres zu, die oft einer zeitkritischen Haltung verbunden sind. Landschaft tritt nicht mehr heroisch oder arkadisch auf, sondern sie ist bedroht oder zerstört.

Die Landschaftsvorstellung wird auf leblose Konstruktionen übertragen, als Segment oder Fragment, als mikroskopische Spur. In dieser Hinsicht gestaltet sich auch die gestörte Harmonie in Peter Tumas Landschaften mit Verfall und Vanitas zu einer Landschaft ohne Natur. Doch ohne Emotionen in perfekter Technik kühl präsentiert, weisen Tumas Bilder vordergründig weltanschaulich-kritische Absichten von sich‚ ebenso wenig wie ihnen surreale Assoziationen unterstellt werden können. Keine Sentimentalität gegenüber dem Dargestellten, keine Süßlichkeit in der Darstellung; es ist ihm nicht um einen Hinweis zu tun, sondern es geht ihm um das Objekt an sich. Die Realität der handgreiflichen Wiedergabe von Unwirklichkeit reicht als Existenzform bis zum ästhetischen Selbstzweck.

Seit 1974 beginnt sich die Landschaftsauffassung zu wandeln. Ausgehend von den realistischen Details der Stadtlandschaftenund Steine, tritt zunehmend eine gesehene Landschaft in seine Bildwelt. Es bleibt jedoch eine tote Natur, die Verletzungen und Wunden sind samt den Instrumenten des Eingriffs erhalten. Aber das Vorgehen bleibt sezierend klar, das Motiv wird als ein Schaustück, Forschungs- und Demonstrationsobjekt herauspräpariert und vom Umraum isoliert. Begleitet und befördert wird diese Wandlung durch eine zeichnerische mit Befreiung. Die Zeichnung, von Tuma sonst in genauer technischer Durcharbeitung in einem anderen Medium bildmäßig genutzt, kehrt zurück zur spontanen Skizze vor der Natur. Eine neue Handschrift in der Art von Entwürfen, die sich im Fragmentarischen auf das Wesentliche beschränkt, öffnet dem Künstler eine neue, vielleicht freiere Einstellung zu seinem Thema und zur Bewältigung seines Anliegens, den Menschen – sich – nach seinem Verhältnis zur Umwelt und nach seiner Rolle in der Dingwelt zu befragen und Orientierung festzulegen.

Bernhard Holeczek, Notizen zu Tumas neuer Landschaft, in: Ausst. Kat. Peter Tuma, Kunstverein Braunschweig, Braunschweig 1977, S. 8 - 10.