Vom Torso über die Skizze zum Frament

Michael Schwarz, 1993

 

Im gesamten bis heute vorgelegten Werk Peter Tumas läßt sich ein durchgehendes Interesse des Künstlers am Fragment, an der Skizze, am Modell beobachten. Von der frühen Ikone von 1963 bis hin zu den jüngsten Arbeiten fällt sein Sinn für das Non finito auf. Schon in einigen Landschaften, von denen hier die Rede war, in Arbeiten wie Stein Ill ist das zentrale Motiv auf dem Bildträger isoliert. Gleichsam wie ein Torso steht der Fels im Weiß der Fläche, die zum Bildraum wird. Hans Schweikhart definiert den Torso als »eine durch Zerstörung zum Fragment ge- wordene anthropomorphe Figur«. Wenn diese Begriffsbestimmung auch für dreidimensionale Werke gefunden wurde, so läßt sie sich doch mühelos auf die Bilder Tumas übertragen, denn zum einen thematisieren die Arbeiten nicht nur zerstörte Landschaft, sondern destruieren selbst die Gattung des Landschaftsbildes - eben weil sie Landschaft nur als Teil eines nicht mehr darstellbaren Ganzen ins Bild setzt. Landschaft ist bei Tuma durch Zerstörung zum Fragment geworden; und dieses Fragment ist auch im anthropologischen Sinne Figur. Es scheint wie bei den Torsi Auguste Rodins so, daß die fehlenden Teile als fehlend empfunden und damit der Körper (die Landschaft) als etwas dargestellt ist, das bedroht war und bedroht bleibt. Andererseits zeigt die Wirkungsgeschichte des Torso von Belvedere geradezu exemplarisch, wie eine antike Skulptur aufgrund ihrer eingeschränkten Abbildqualität von den Künstlern geschätzt wurde. Bildhauer wie Michelangelo, der sich weigerte, den Torso zu restaurieren oder gar zu ergänzen, oder Maler wie Rubens und Delacroix, die ihn zeichneten, haben gerade in der Unvollständigkeit die Form und die Bewegung, in die sie gebracht wurde, über alle Maßen geschätzt.

Indem Peter Tuma Landschaft fragmentiert, ist er gleichermaßen an Inhalts- wie an Formfragen interessiert, jedenfalls am Fragment, am Teil des Ganzen. An diesem Interesse wird er festhalten in den folgenden Jahren, auch als aus den Bergenlängst Gewächshäuser, aus diesen Stauwerke oder Theater geworden sind. Immer oder doch oft bleibt das zentrale Motiv isoliert, sind die Übergänge in den Bildraum nur angedeutet, ist die Einzelform ohne Verbindung zu den Rändern und also auf der Fläche eher in ein vages Gleichgewicht, denn in ein festes Kompositionsschema gestellt. Das Bild bei Peter Tuma ist zur Bildskizze geworden, zum bildmäßig angelegten Entwurf. Ich sehe diese Bildauffassung aus dem Torsobegriff der Landschaftsbilder der frühen 70er Jahre entwickelt, in denen der Berg ohne Boden, Bäume, Himmel und Wolken wie ein Rumpf ohne Glieder im Bild schwebt. In der umfangreichen Gruppe der Köpfe, an der Peter Tuma seit 1986 arbeitet, ist das Torsoprinzip erneut thematisiert: Der Kopf ist hier Fragments, Teil eines abhanden gekommenen Körpers, »selbstidentisch« wie Rolf Bier sagt, weil es schmerzhaft von dem eigenen, ihm als Kopf wiederfahrenden Schicksal spricht.

Michael Schwarz, Peter Tuma. Mit einem Beitrag von Rolf Bier, (Kunst der Gegenwart aus Niedersachsen Bd. 41), Verlag Th. Schäfer, Hannover 1993. S. 20.